Muss Stillen sein?

Das Stillen ist ein emotional besetztes Thema. Logisch - es geht um den innigsten Kontakt zum Neugeborenen. Es geht um die Gesundheit, es geht darum, dass es wächst und gedeiht. Deswegen ist es um so wichtiger, von Zeit zu Zeit nachzuhaken: ist alles, was ich darüber weiß denn wirklich richtig? So auch die Frage, ob das Stillen wirklich die bessere Alternative ist. Immer und überall. Kurz gesagt lautet die Antwort: nein. Und es gibt einen Grund, nicht zu stillen: den Vater. Es folgt eine leicht ketzerische Argumentation. Kurz vornweg eine Anmerkung zum Hintergrund: ich verbringe zur Zeit jede Nacht eine Stunde oder zwei mit dem Füttern eines Frühchens. Sie ernährt sich ausschließlich von Muttermilch. (Spoiler: dafür gibt es gute Gründe). Weil unser kleines Mäuschen anfangs noch zu schwach war für die Brust, mussten wir den Umweg über Milchpumpe und Fläschchen gehen. Das ist eine rechte Quälerei. Aber erfolgreich: von 2.000 Gramm, und später 1.860 Gramm, hat sie sich in kurzer Zeit auf 2.600 Gramm gesteigert. Sie hat ein Doppelkinn und Hamsterbacken. Wir versuchen, ihr das Stillen beizubrungen. Natürlich bin ich deswegen interessiert an Informationen zum Stillen. Deswegen fand ich den Artikel "Will the Tide Ever Turn on Breastfeeding?" auf Slate.com interessant. Auch weil seine zentrale Aussage ein bisschen ketzerisch ist: das Stillen ist gar nicht so wichtig.
Muss das Stillen sein?


Fehlende Belege für positive Effekte des Stillens.

Es scheint paradox, weil die gängige Lehrmeinung dem Stillen zahlreiche heilsame Effekte zuschreibt: für die körperliche unnnnd seelische Entwicklung, für die Bindung von Mutter und Kind. Doch wie Dr. Amy Tuteur in der Slate.com ausführt, sind diese Behauptungen wissenschaftlich nicht gut gelegt: zu viel davon basiert auf winzigen Untersuchungen, die nicht reproduziert wurden. Zudem ist nicht klar, wie groß der Einfluß anderer Faktoren wie Einkommen und Bildung war: ging es gestillten Kindern besser, weil ihre Eltern mehr Zeit und Geld in ihre Pflege investieren konnten? Für die große Mehrheit der Kinder kann man die positiven Effekte heute nicht belegen. Für bestimmte Gruppen jedoch sehr wohl.

Für wen hat Stillen nachweislich positive Effekte?

In Gegenden ohne sauberes Trinkwasser ist Stillen die bessere Option. Verwenden die Eltern Muttermilchersatz, drohen Infektionen. Auch bei Frühchen erhöht sich das Risiko von Komplikationen ohne Muttermilch deutlich. Und auch für alle anderen Kinder gibt es kleine, messbare positive Effekte: weniger Erkältungen, weniger Durchfallerkrankungen, weniger Fälle von plötzlichem Kindstod. Wer sollte da nicht stillen wollen? Der Teufel steckt im Detail: es gibt nämlich auch negative Effekte des Stillens, welche die positiven mehr als aufwiegen.

Die negativen Effekte des Stillens.

Doch, die gibt es. Es zeigt sich, dass Risiken wie Stürze oder Ersticken im elterlichen Bett bei voll gestillten Kindern erhöht sind. Ebenso das Risiko der Dehydration oder Unterernährung. Rund 15 Prozent aller Mütter sind körperlich nicht in der Lage, voll zu stillen. Die starke Betonung, wie wichtig es wäre, ist ein erheblicher Stressfaktor in einer anstrengenden Phase.

Bonding - ein nicht messbarer positiver Nutzen?

Oft wird das Stillen als wichtiger erster Schritt für das "Bonding" von Mutter und Kind angeführt. Ohne den Stand der Forschung hierzu zu kennen (und wer etwas beizutragen hat: ich bin sehr neugiereig. Immer her damit!) scheint mir hier ein Problem zu liegen: Kinder können nur von ihrer Mutter gestillt werden. Der Vater bleibt zwangsläufig außen vor. Ist sein Bonding, oder das Bonding des Babys an den Vater, nicht genau so wichtig? Wenn das Stillen ein so leistungsstarkes Werkzeug ist, um eine gesunde Mutter-Kind-Bindung zu schaffen, dann sollte besonderer Wert darauf gelegt werden, auch die Vater-Kinder-Bindung auf dem gleichen Weg zu stärken. Das kann mit einem Stillset geschehen wie in diesem medial aufmerksamkeitsstarken Fall. Vielleich können Männer auch selber Milch geben. Oder aber, ganz pragmatisch, beide Eltern füttern ihr Kind mit Milchersatz oder abgepumpter Milch. Wie Dr. Tuteur aufzeigt, überwiegen für die meisten Kinder positive Effekte, wenn sie nicht gestillt werden. Ich würde argumentieren, dass eine gute Bindung an den Vater (und ein bisschen mehr "Luft" für die Mutter, die schon genug zu tun hat) ein viel stärkerer Grund ist. Es bleibt jeder Mutter frei gestellt, diese Wahl zu treffen. Der starke Druck zum Stillen aber ist fehl am Platz. Es gibt, wissenschaftlich gesprochen, keinen guten Grund dafür.


Bild: Verwendung freigestellt von Pexels mit Dank an @byrawpixel

Kommentare

Beliebte Posts