Mein Freund wird Vater, und er stirbt

Es gibt Geschichten im Leben, die weder in Literatur noch im Kino so eindringlich geschildert werden könnten. Wenn wir ihnen begegnen, stoßen sie uns vor den Kopf. Mich bringt eine lapidare Nachricht meines Jugend- und Musikerfreundes ins tiefste Grübeln über mein Leben, meine Rolle als Vater und wie viel Glück ich habe.
Die Nachricht war "ich fang jetzt meine Chemo an".
Isis beklagt Osiris. Bild von Rama
Männer sind komisch. Sogar als Mann sehe ich das ein. Ich kenne Jan seit 25 Jahren, wir haben in mehreren Bands Musik gemacht, als Teens zusammen gesoffen, zusammengehalten wenn die größeren Teens ihn verprügeln wollten (wir sind beide eher klein und deswegen immer Außenseiter gewesen). Vielleicht ist es logisch, dass er sich an mich wendet wenn er Angst hat. Aber warum dann in einem Nebensatz zwischen Geschichten von seiner Renovierung und der Frage welche Band besonders cool ist?

Jan hat eine tödliche Art von Krebs, uns weiß das schon seit Jahren. Die Therapie ist eine Verzweiflungstat, die Prognosen sind schlecht. Vergangenes Jahr hat er sich verlobt, die beiden erwarten jetzt eine Tochter. Ob sie sich je an ihn erinnern wird ist nicht sicher. Wenn einem diese tragischen Umstände bekannt vorkommen, dann vielleicht aus dem Film "My Life", in dem ein todgeweihter Vater seinem Sohn Videobotschaften aufnimmt.

Jetzt verstehe ich auch, warum seine Verlobte bei seinem öffentlichen Antrag so emotional reagiert hat. Nicht, dass der Anlass nicht Emotionen hervorruft, aber irgendwas schien mir komisch an ihrer Art; zu melancholisch und gleichzeitig aufgedreht. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie sich jetzt fühlen muss - die ersten Wochen mit Baby sind turbulent genug, und dann noch einen zweiten Menschen zu haben der Trost und Unterstützung braucht ist sicherlich eine erschreckende Vorstellung. Ganz zu schweigen von der Angst, dass es auf einmal nur noch einer ist. Wenn dann das Baby erst mal da ist, kommen die Ängste ganz von selbst, dass ihm etwas passieren könnte. Ich wünschte ich wäre ihr nah genug, um helfen zu können, aber ich muss hoffen dass sie jemand hat, der sie begleitet.

Während mir die Sonne auf den Schreibtisch scheint, meine Kinder in Krippe und Schule ihren Spaß haben, Omas und Opas sich bereit machen sie abzuholen und die ganze Familie als glücklicher Haufen ihre kleinen und großen Problemchen durchlebt, wird mir einmal mehr klar wie viel Glück ich habe. Ich wünschte mir nur, dass ich es mit Jan teilen könnte.

Kommentare

  1. Wow, sehr ergreifend und gut geschrieben. Ich kann gut nachvollziehen, wie verstörend das sein muss, wenn man so direkt auf das Glück, was man doch selbst hat, aufmerksam gemacht wird. Und wenn man dann realisiert, wie schnell sich das ändern kann. Ich wünsche Dir und Jan und allen Betroffenen viel Kraft in diesen schweren Tagen.

    LG,
    Mattes

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  2. Ich glaube, du kannst etwas ganz wichtiges tun, und das weiss ich aus der Zeit als der Mann einer guten Freundin in jungen Jahren an Lungenkrebs starb. Die beiden hatten auch kleine Kinder, und es war alles wirklich furchtbar traurig. Aber wirklich schwierig war für sie, dass die Menschen um sie herum sich zurückzogen und sie keiner mehr fragte, wie es ihnen geht. Diese Freundin war unglaublich dankbar dafür, dass ich mit ihr ganz normal redete, und zwar über alles. Auch über den bevorstehenden Tod und ihre Situation, klar. Aber eben auch über ganz banale Dinge. Manchmal haben wir auch zusammen geweint.

    Viele herzliche Grüsse, Christine

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  3. Danke euch beiden. Ich denke das ist guter Rat.
    rocktpapa

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  4. Es gibt zwei Arten, mit so einer Krankheit und Prognose umzugehen: Resignation oder Akzeptanz (Nein, so ganz beschreibt es das nicht). Man kann aufgeben oder sein Leben weiterleben - zu heiraten und eine Familie zu gründen, gehört dazu. Es erfordert viel Mut und Stärke von beiden Partnern, aber Dein Freund scheint mit der Krankheit zu leben und nicht nur noch für sie.
    Eine Bekannte arbeitet in der Onkologie und vor ein paar Jahren saß eine Frau bei ihr zum Blutabnehmen und meinte: "Heute müsste ich tot sein." Die Ärzte hatten ihr nach der Diagnose noch ein paar Monate gegeben und dieser Tag war so etwa ihr prognostizierter Todestag. Heute - Jahre später - sehen sich die beiden immernoch regelmäßig zur Blutentnahme. Die sicher totgeglaubte lebt heute noch ein angenehmes Leben und kommt nur regelmäßig zur Kontrolle.
    Natürlich kann Krebs auch anders verlaufen, er hält immer wieder Überraschungen bereit, sowohl positive als auch negative. Solange Dein Freund aktiv lebt und sich über sein Kind und seine Ehe freut, solange hat der Krebs noch nicht gewonnen.

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  5. Danke, Sebastian. Das klingt sehr nachvollziehbar. Der Jan ist auch eher einer, der sich nicht in Selbstmitleid oder Nabelschau verliert, und wenn irgendwer einen guten Grund hat sein Leben zu leben statt seiner Krankheit, dann er als frischgebackener Papa. Fingers crossed!

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