Baby, vergiss mich nicht

Babies sind nicht wie Elefanten. Sie sind pink (oder braun, ocker...), nicht grau. Glatt, nicht faltig, und sie haben keine Zähne, schon gar keine Stoßzähne. Sie sind auch viel leichter zu tragen.
Elefanten sagt man ein ausgeprägtes Gedächtnis nach, Babies stehen im Ruf alles zu vergessen. Doch das ist nicht wahr - ich hatte die Grundlagen schon mal zusammengefasst, und will das jetzt aktualisieren. Vor allem gibt es neue Erkenntnisse, wie wir die Erinnerungsleistung unserer Kinder fördern können.

Das Geheimnis scheint im "maternal elaborative style" zu liegen, also der Art und Weise, wie Mütter (und, man darf annehmen, Väter) mit ihren Kindern über Vergangenes sprechen. Wenn die Mutter stark elaboriert, also umschreibt, Kontext herstellt, ihre Fragen erklärt und rückfragt, dann fördert dies die Erinnerung der Kinder.

Der Grund dafür ist offenbar, dass Kinder in erster Linie keine Struktur in den erinnerten Eindrücken bilden, dass sie sozusagen die Flut von Einzelerinnerungen ("hell", "warm", "salzig", "Rauschen", "Sand") nicht zu einer kohärenten Geschichte zusammenfassen können ("Wir waren am Strand, die Sonne schien und das Meer machte Geräusche"). So wird auch klar, was die elaborative Mutter (was für ein umständlicher Begriff) erreicht: sie fasst die relevante Informationen zusammen, gibt eine Gliederung und Struktur vor, und macht es dem Kind so möglich, die Erinnerung so abzuspeichern, dass es sie wieder aufrufen kann.

Mit anderen Worten: es wird eine Geschichte erzählt. Es ist lange bekannt, dass Menschen sich Geschichten besser merken können, viele Gedächtnistechniken für Erwachsene nutzen diesen Trick. Die ältesten historischen Überlieferungen sind Geschichten, nicht etwa Kochrezepte oder Bauanleitungen (was sicher viel hilfreicher gewesen wäre).

Ich kann das auch aus eigener Erfahrung bestätigen. An unseren Urlaub erinnerte sich der zweijährige Brainbug noch gut, als wir daheim waren, doch mit der Zeit redete er seltener davon, und konnte auf Nachfrage auch nichts mehr dazu sagen. Als wir dann angefangen haben, ihm die Highlights zu erzählen ("Da war die kleine Katze, die hat laut miaut, und Du hast dann gesagt "nicht weinen deine Mama kommt gleich"...) festigten sich die Eindrücke aber. Auch heute noch erzählt er begeistert von dem Pool im Hotel.

Die Möglichkeit, Erinnerungen zu formen, führt aber auch dazu, dass wir Eltern eine Verantwortung für die Erinnerungen unserer Kinder haben. Wir können beeinflussen, an was sie sich erinnern, und wie. Wir sollten vermutlich aufpassen, welche Konnotation wir den Dingen geben. ("Und dann war da dieser hässliche Mann...", "Mama war an dem Tag ein bisschen schlecht gelaunt...", "Papa war mal wieder nicht mit dabei..."). Es kann mir keiner erzählen, dass das keinen Einfluss auf das Weltbild unserer Kinder hat. Vielleicht hängt es von diesen ersten Erinnerungen ab, ob wir Pessimisten oder Optimisten werden?



Bild: Yoninah

Kommentare

  1. Der Vorgang der Gedächtnisbildung ist damit sehr anschaulich und kurzweilig erklärt, danke dafür! Es kommt aber noch etwas hinzu: Indem Eltern durch ihre umschreibende Erzählung im Gedächtnis des Kindes Episoden und deren Kontext verankern, übernimmt es nicht nur Assoziationen und Wertungen der Erwachsenen und verankert ansonsten zunehmend verblassende Emotionen im bewussten Zugriff. Eine große Rolle spielt auch der Umstand, dass Kleinkinder im Gespräch diesen Typs lernen, wie man sich Erlebnissen, Wahrnehmungen und komplexen und abstrakten Sachverhalten systematisch so annähert, dass sie verstehbar werden. Das Ausmaß, in dem wir Erwachsenen im Dialog mit dem Kleinkind in der Lage sind, unsere Gedanken zu sortieren und ganz bei der Sache zu bleiben, bestimmt (mal ganz abgesehen von den anlagebedingten Fähigkeiten des Kindes) mit darüber, wie leicht oder wie schwer sich der Nachwuchs später in der Schule tun wird. Die vielzitierte „frühkindliche Bildung“ ist letztlich nichts anderes als dies. Kinder brauchen Erwachsene, die Interesse, Beigeisterung und Geduld für solche Begegnungen aufbringen. Angesichts der unzureichenden Ausbildung und Bezahlung von Erziehern leisten das wohl in erster Linie Eltern.

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  2. Das stimmt - ich kann mir aber auch vorstellen, dass viele Erzieher von Haus aus ein Talent für diese "elaborative" Strategie haben. Genau wie Eltern auch, im besten Fall.
    Andererseits ist dieses Elaborieren aber auch ein sehr sensibler Prozess - gerade weil hier Bewertungs- und Beurteilungsstrategien vermittelt werden. Ich finde es nicht verkehrt, wenn die Eltern den Hauptteil für sich behalten. Nicht, dass ich den Erziehern in irgendeiner Art misstrauen würde, natürlich.

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