Baumhaus vs. Helikopter: eine neue Front im Kulturkampf

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Baumhaus per Helikopter: geht das?
Haben Kinder genug Freiraum zum Spielen und Wachsen, oder sind wir Eltern zu vorsichtig, planen jede Minute freier Zeit für unsere Kinder durch, behüten sie vor jedem noch so kleinen Risiko? Viele Väter und Mütter meiner Generation sind der Meinung, dass unsere unregulierten, aber auch unstrukturierten Kinderjahre besser waren. Wir hatten mehr Zeit, alleine draußen zu spielen. Wir bauten Baumhäuser ohne die Hilfe der Erwachsenen. Die Spielplätze waren etwas weniger gepolstert, Raufereien und Reibereien an der Tagesordnung. Aber wir hatten die Freiheit zu tun was wir wollten - Mit allen Risiken, die das mit sich brachte. Heute entbrennt um diese Freiheit ein kleiner Kulturkampf. Verweichlichen unsere Kinder, oder fördern und betreuen wir sie einfach besser?
Die Frage nach der Verweichlichung ist eine sehr politische: zweifelhafte Organisationen wie die AfD haben die "Pussifizierung" der Jugend (vor allem der männlichen) beklagt. Gleichzeitig schüren (nicht nur) die Rechten eine Angst vor der Welt, die mit der Realität nicht viel zu tun hat. Mord und Totschlag, Entführung und Missbrauch erscheinen auch durch die Massen- und sozialen Medien viel häufiger, als sie sind.

Nieder mit dem Helikopter: ein Vater gegen Überförderung und Gängelung

Vor diesem Hintergrund ist das Modell einer Familie in Kalifornien interessant, die (getrieben durch den Vater Mike Lanza) ihr Haus für die Nachbarskinder zum offenen Spielraum erklärt hat, und mit aufwändigen Spielgeräten im Garten dafür sorgt, dass die Kinder der Gegend unbeaufsichtigt und nicht ganz ungefährdet toben können. Es ist ein philosophischer Parforce-Ritt im Silicon Valley, dass seine Kinder ansonsten eher in Watte packt und mit leistungsfördernden Drogen füttert. Lanza ist ziemlich streitbar und sehr deutlich in seiner Meinung, dass vor allem Jungs heute nicht ihrem Naturell gerecht erzogen werden. Aggression, Risiko und die Folgen dummer Ideen gehören zum männlichen Modus des Lernens und Heranwachsens. Lanza vermutet also nicht nur, dass die Söhne der Nation zu Weicheiern werden, sondern dadurch auch noch in ihrer Leistungsfähigkeit beschnitten.

Der Helikopter vermutet Sexismus

Der Widerstand ließ nicht lange auf sich warten. Autoren wie Elissa Strauss bezichtigen Lanza, Sexismus und Misogynie bei seinen Söhnen zu züchten. Der vermeintlich naturnahe Ansatz der Erziehung sei in Wahrheit nur eine Rückkehr zum patriarchalen Verhalten früherer Zeiten. Sogar den unschönen Vergleich zum aktuellen US-Präsidentenwahlkampf zieht sie, welcher von Vorwürfen des Sexismus und der Verteidigung geprägt ist, als Mann sei man eben so.

Im Zweifel für den Vater?

Ohne Zweifel stehen Mike Lanza harte Zeiten bevor. Im öffentlichen Schlaglicht werden die klagefreudigen US-Bürger sicher Wege finden, die Umsetzung seiner Philosophie zu unterbinden. Ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Sache ist. Einerseits halten wir es zuhause ähnlich wie Lanza: die Zäune zu den Nachbarn sind durchbrochen, welches Kind heute in meinem Garten Regenwürmer isst, ist Zufall. Die Nachbarstöchter sind oft und gerne bei uns, oft auch ohne formelle Einladung. Das ist gut so. Wenn die Band auf dem Trampolin beim Nachbarn rudelhüpft, kommt es schon mal zu Beulen - wir haben uns abgewöhnt, jede Minute daneben zu stehen und zu ermahnen. Von den acht Erwachsenen in unserem Spielraum ist immer wer in Hörweite. Lanza macht das gleiche wie wir, nur extremer. Ich beneide ihn um die Leidenschaft, mit der er die Welt seiner Kinder gestaltet. Nicht viele Väter machen das.

Ich bin auch überzeugt, dass wir als Eltern oft zu vorsichtig sind. Wir unterschätzen unsere Kinder, überschätzen die Risiken, sehen nicht wie wichtig es ist, unseren Kindern die Möglichkeit zu geben, ihre Grenzen auszureizen. Ich ertappe mich manchmal dabei, und es ist schwer, loszulassen und meine Prinzessin einfach mal machen zu lassen.

Wer hat Angst vor der Pussifizierung?

Andererseits glaube ich nicht, dass Aggression ein notwendiger Impuls ist. Bei niemanden, auch nicht bei kleinen Jungs. Ich erkenne keine Pussifizierung, ich glaube, dass die Generation der Kinder heute besser und klüger auf ein friedliches Zusammenleben vorbereitet ist als wir es waren. Ich glaube Lanzas Vision ist getrieben von einer zweifelhaften Frustration mit der modernen Welt, die ihn über das Ziel hinaus schießen lässt. Freiheit und Mut zur (Zahn)Lücke bei der Totalüberwachung unserer Kinder ja! Aber der Ruf nach dem "ganzen Kerl", der dramatische Abgesang der Männlichkeit? Ein pathetisches Drama. Wenn ich die AfD ärgern wollte, dann würde ich sagen: das Geheule hat was sehr pussifiziertes.


Bild CC BY 2.0Link

Kommentare

  1. Ja, das ist wirklich ein sehr schwieriges Thema. Die Balance zwischen "Freiraum lassen" und "Kontrolle" zu finden, ist nicht unbedingt leicht. Einerseits wollen wir unsere Kleinen vor allem Bösen beschützen, andererseits müssen wir ihnen aber auch das Gefühl geben, ihnen zu vertrauen und ihnen zeigen, dass wir an sie glauben. Nur so entwickeln sie ein gesundes Selbstvertrauen und Selbstständigkeit.
    Der Begriff "Pussifizierung" ist schrecklich und überhaupt nicht passend. Deiner Meinung über die heutige Generation, können wir uns nur anschließen. Wir finden auch, dass die Kinder heutzutage sehr klug und wir glauben daran, dass sie der folgenden Generation große Vorbilder sein werden.
    Danke für den tollen Artikel!
    Liebe Grüße
    das ideas4parents-Team

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