Das Schwert ist schlauer als der Legostein

Wie ich schon mal erzählt habe, ziehe ich mir manchmal selbstgenähte Sachen an, greife mir ein Schaumstoffschwert und renne ein Wochenende durch den Wald, um Prinzesinnen zu befreien und Drachen zu erschlagen. Das nennt man Rollenspiel oder LARP.

Dieses alberne, eskapistische Hobby hat nun in den USA einen pädagogischen Ritterschlag erhalten. Rollenspiele, so die aktuelle Forschungsmeinung, sind ein besseres Training für Vorschulkinder, als etwa Schreib- oder Leseübungen. Mathe und Lego verlieren gegen Vater-Mutter-Kind.

Der Hintergrund dieser Theorie, die auch schon an ausgewählten Kindertagesstätten in die Praxis umgesetzt wird, ist die Einsicht (basierend auf den Lehren Lew Wygotskis), dass es für die kindliche Entwicklung etwas viel Wichtigeres gibt als Wissen, Intelligenz und soziale Kompetenz (im Sinne vom Befolgen von Regeln und Normen): die Selbstkontrolle.

Das sollte jedem Leser dieses Textes auch völlig klar sein. Hätten Sie nicht was anderes zu tun? Hatten Sie sich nicht vorgenommen, eine (öde) Powerpoint fertig zu stellen, sind dann aber stattdessen ins Internet abgedriftet? Selbstkontrolle, so der Tools of the Mind-Ansatz, hilft dabei, das ganze Leben besser auf die Reihe zu bringen und mehr aus den eigenen Fähigkeiten zu machen. Es zeigt sich, dass der berufliche Erfolg in starker Weise von von der Selbstbeherrschung emotionaler und kognitiver Impulse bei Kindern abhängt. Die New York Times hat dazu einen umfassenden Artikel veröffentlicht, der gut beschreibt, wie die Pädagogik zu dieser Einsicht gekommen ist.
Deutsche Pädagogiksites sind da noch nicht ganz so weit. Aber sowohl dort als auch bei der NYT finden sich Sätze, die aus dem Handbuch der Grauen Männer von "Momo" stammen könnten:
"...Erzieher/innen [dürfen] das Spiel nicht den Kindern überlassen. Vielmehr sollten sie es vorplanen..." (aus kindergartenpaedagogik.de)
" ...kids need careful adult guidance and instruction before they are able to play in a productive way." (aus der New York Times)

Schon klar. Auch wenn der Wert des Spielens erkannt wird, geht es nicht ohne den Zusatz "aber bitteschön ordentlich und effizient". Manchmal glaube ich Eltern haben ein echtes Selbstwertproblem: wenn sie nicht das Gefühl haben, ihr Kind bis zum Anschlag zu fördern, verfallen sie in Depressionen.

Ich nicht. Ich bin, als bekennender Eskapist und Schaumstoffschwertschwinger vor dem Zwang zum Sinn gefeit. Außerdem habe ich eine eiserne Ritterrüstung, an der auch die letzten vorwurfsvollen Blicke einfach abprallen. Soll mein Kind doch in der Nase bohren. Wozu hat uns der Liebe Gott denn die passenden Finger gegeben?

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