Zwischen Traum und Wachen

"Ab 29 geht es körperlich bergab. Man kann nicht mehr so viel. Auch geistig." So klagte ein Krippenpapa heute in der S-Bahn, wo wir uns zufällig auf dem Weg zur Arbeit getroffen haben. Ich bon mir nicht sicher, ob er recht hat. Ich glaube im Gegenteil: wir (junge) Eltern sind durch die zusätzliche Belastung noch fitter und belastbarer, als wir es mit (sagen wir) Mitte Zwanzig waren.

Woran ich das festmache? Aktuell an einer interessanten Frühmorgenserfahrung, die ich an diesem Wochenende hatte.

Mein Hobby ist es, einige Wochenenden im Jahr in einem Zelt auf einer Wiese zu sitzen und Untote Zombis mit Schaumstoffschwertern zu verhauen. Das nennt sich Larp. Diese Wochenenden werden von Enthusiasten organisiert, welche die Planung und Koordination inne haben. Ganz wie in alten Schullandheimzeiten legen diese ad-hoc-Authoritäten bisweilen Wert auf ein gemeinsames, frühes Aufstehen aller Teilnehmer (oft mehrere Tausend, meist nur rund 100). Dazu hat es sich eingebürgert, zu ganz unchristichen Zeiten einen "Angriff" von "Monstern" auf das Lager zu veranstalten. Jeder Teilnehmer, der was auf sich hält, springt dann aus dem Bett, greift sein Gummischwert und ein Kostümteil und stellt sich im taunassen Gras des Zeltplates zum Kampf.

Bisher habe ich mich immer umgedreht und weitergeschlafen, wenn ich vor meinem Zelt die Zombis stöhnen hörte. Fünf Uhr früh? Da kann ich noch nicht mal denken, geschweige denn austehen. Doch dieses Mal, mit bald zwei Jahren Papa-Erfahrung unterm Gürtel, lief das ganz anders. Ich schlug die Augen auf, mein Blutdruck ging in Sekunden vom "Koma-" in den "Action"-Modus, ich war munter und motiviert, stürmte aus dem Zelt und sah zum ersten Mal seit ich denken kann Monster im Morgengrauen.

Die sahen alle ganz schön verschlafen aus. Ich nicht. Dank dafür an meinen Sohn, der mich seit 20 Monaten für genau diese Fälle trainiert. Gut, mein Brinabug schwingt keine Waffe und kommt auch noch nicht zu mir ins Zimmer, weil er die Grenzen des Gitterbetts noch nicht zu bewältigen gelernt hat. Aber das Prinzip ist das Gleiche: ich werde gebraucht, gefordert, und ich bin da.

Mein Sohn selber ist ähnlich schnell wach, wenn ich ihn in der Früh aus dem Bett hole. Er gibt mir seit neustem Rätsel auf. Träumt er, er träumt er nicht. Und versteht er den Unterschied zwischen dem nächtlichen Kopfkino und der wirklichen Welt?

Einerseits scheint er nach dem Aufwachen genau da weiter zu machen, wo er beim Einschlafen war. "Papa Tisch putzen" hat er mich heute begrüßt - das war meine Erklärung vom Abend davor, warum ich mich nicht neben ihn ins Bett lege. Ich musste noch Haushalt machen. Andererseits kann man Brainbug konkret fragen, ob und was er geträumt habe, und gibt glaubwürdig Antwort. Er hatte auch schon Albträume ("Donner, Donner, Donner" - wobei weit und breit kein Gewitter zu hören war), und wie viele Kinder zuckt und murmelt er im Schlaf machmal.

Leider bleibt das wohl ein Rätsel. Die Forschung weiß auch nicht viel darüber. Kinder haben wohl mehr traumfördernden REM-Schlaf als Erwachsene. Aber ob ein Zweijähriger sich nach dem Aufwachen erinnert, das kann sie nicht beantworten. Ich persönlich glaube, dass er in diesem Alter noch keinen Unterschied zwischen allem geistig erlebten macht. Wirklichkeit, Erinnerung, Traum, Spiel - alles fügt sich vielleicht im Kopf des Kleinkindes zu einem homogenen Ganzen zusammen.
Diese philosophischen Gedanken habe ich natürlich nicht erwogen, während ich den Kleinen auf dem Arm hatte oder ihm die Windel wechselte. Nein, sie kamen mir in einem meditativen Moment, als ich Mamas neue Kaffemaschine zum ersten Mal bediente. Meine Frau klagt oft über einen schweren Start in den Morgen, und das komplizierte Gerät soll es ihr erleichtern. Ganz ähnlich wie die Emotions-Maschinen in "Träumen Androiden von elektrischen Schafen?" von Philip K. Dick. Ob er wohl ein kleines Kind hatte, als er das Buch schrieb?

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