Wer teilt an St. Martin das Essen

Schwierige Frage: was tun wir an St. Martinstag mit den nicht christlichen Kindern im Kindergarten. Besonders denen, die aus religiösen Gründen keine Wienerwurst essen dürfen?
Die Debatte gab es schonmal, in der Krippe. Dort hatte ein muslemisches Elternpaar angefragt, ob Schweinefleisch nicht aus dem Essen verbannt werden könne. Sie argumentierten, dass ihr Kind sich ausgegerenzt fühle, wenn es immer eine Extraportion bekommt.
Es gab eine Abstimmung, die ziemlich vorhersehbar ausfiel. 22 "Nein", 1 Enthaltung, 1 "Ja".

Jetzt, zwei Jahre später, geht es um die Wurst. Der St.Martinsumzug (an und für sich schon schwierig zu sekularisieren) endet beim großen Wienerwursttopf, dessen Inhalt zwei Zwecke erfüllt: erstens wärmen sich die Teilnehmer auf (St. Martin hat schließlich nur zwei Hälften an seinem Mantel, und die sind beide schon vergeben), zum anderen kommen die Einnahmen aus dem Wurstverkauf dem Kindergarten zugute.
So weit, so schön. Nun gibt es ein paar muslimische Kinder, die keine Schweinswiener dürfen. Putenwiener oder Kalbswiener sind aber teurer. Unser Elternbeirat zerbricht sich jetzt die engagierten Köpfe seiner Mitglieder, wie man eine gerechte Lösung findet. Mehr kassieren für die "Extrawurst"? Eine Mischfinanzierung durch einen leicht erhöhten Preis für alle? Oder nur eine Sorte Wurst (das spart auch den zweiten Topf), entweder von der einen oder anderen Art.
Wahrscheinlich läuft es auf die letzte Variante raus, mit Vogel-friss-oder-stirb Schweinswienern. Das ist nachvollziehbar, aber ich bin nicht ganz glücklich damit. Denn
a) die Stimmung ist sowieso latent gegen muslimische Mitbürger. Jeder Gelegenheit, dagegen anzukämpfen, sollte wahrgenommen werden
b) unsere Kiddies müssen lernen, mit ihren Unterschieden umzugehen. Totschweigen oder Wegignorieren ist keine Tat von Vorbildqualität
Wer jetzt die Stirn runzelt und sagt "sowiel Aufwand nur weil die keine Wurst essen wollen", sollte einen parallel gelagerten Fall erwägen: Vegetarier.

Das "gute" Essverbot: nichts, was ein Gesicht hat
Es gibt zwei Arten von Vegratiern: Überzeugungstäter und religiöse. Beide werden an unserem St.Martinstopf die Nase rümpfen, denke ich. Auch Kinder, die eine Lebensmittelallergie haben, stehen vor einem Problem. Sollen wir für jeden einen eigene Wursttopf machen oder was?

Pragmatismus und Schamgefühl
Bevor wir uns aber die Haare raufen bei dem Gedanken, dass das Gruppenerlebnis Martinsumzug in einer Schwemme von Extrawürsten endet, sollte man vermutlich die pragmatische Notbremse ziehen. Es gibt eine gewisse Grenze der Wichtigkeit, unterhalb derer der Wunsch nach Sonderbehandlung nicht mehr höflich ist. Jeder kennt Beispiele aus dem Alltag: der Zugreisende, der auf dem offenen Fenster (oder den geschlossenen Vorhängenen) im Abteil besteht, der alberne Mensch in der Starbucks-Schlange, der mit zehntausend Sonderwünschen und Änderungen die anderen Wartenenden unnötig aufhält. Zum Glück ist bei den meisten Menschen das Gefühl für unbequeme Situationen so weit ausgeprägt, dass sie eine gute Balance zwischen ihren Wünschen und den Interessen der Allgemeinheit finden. In unserem konkreten Fall würde das vermutlich darauf hinauslaufen, dass der einzige Buddhist in der Gruppe sich halt enthält und an einem Keks knabbert (überhaupt sind Würste zum Martinsumzug nicht "Kanon" - Gans, Brezeln oder Küchlein gehören eher zum Brauchtum). Die 10 Prozent Muslime aber können durchaus um einen eigenen Wursttopf bitten, ohne sich albern vorzukommen. Möchte ich meinen.

Und weil das ganze Thema gar so schwer verdaulich ist noch ein kleiner Mediennachtisch: die Szene aus "Scott Pilgrim vs. the world", wo die Vegan-Polizei Todd seiner "Vegan Powers" enthebt. "Chicken isn't vegan?"

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